Wenn – dann
Wenn – dann
Wenn der Virus aufgibt,
die Schutzmasken verstaut werden
und die Schutzkleidung sich türhoch stapelt
wenn Türklinken angstfrei angefasst werden dürfen
und die Seife wieder geschont wird
wenn der »wie-geht-es-dir-Blick« sich zur Ruhe setzt
und Freunde wieder umarmt werden dürfen
wenn die Zollkontrollen beendet
und die Hamsterkäufe Vergangenheit sind
wenn in den Nachrichten
die C-Wörter in die Ablage kommen
und alle Schüler wieder ihre Ranzen schnüren
dann, dann, dann
dann umarme ich Gott und die Welt
oder doch zumindest alle Freunde
gehe täglich ins Kino
dreimal in der Woche essen
besuche alle geöffneten Museen
kaufe dutzendweise Konzertkarten
geht auf Veranstaltungen mit 5000 Besuchern
beende den Menschen Sicherheitsabstand
niese Lust erfüllt ohne die Hand vorzuhalten
dann besuche ich rundum alle Freunde
und denke nur noch an
Friede, Freude, Fahrrad fahren.
Lockdown
Auf menschenleeren Straßen
langweilt sich das Kopfsteinpflaster.
Schaufensterauslagen
bewundern sich selbst.
Bücher zählen ihre Seiten
keiner schlägt sie auf.
Verwaiste Straßenbahnen
verstopfen mürrisch das Depot.
Auf dem Standesamt
heiraten sich die Formulare.
Verwöhnte Tauben
weinen den Brotkrumen nach.
Kanalratten reichen eine Petition ein
ihnen droht Hungersnot.
In menschenleeren Stadtgärten
trauern die Tulpen.
Kirchenglocken
läuten Einsamkeit.
______
Alle Beiträge des Erzählprojektes »Die Liebe in Zeiten von Corona«
______
Jeden Morgen kostenlos per E-Mail: Spiritletter von Publik-Forum
Dies ist ein Beitrag im Rahmen des Erzählprojektes von Publik-Forum »Die Liebe in Zeiten von Corona«. Wir laden unsere Leserinnen und Leser ein zu unserem Erzählprojekt: Bitte schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen, Nöte, Ängste und Ihre Zuversicht in Zeiten von Corona.
