Zur mobilen Webseite zurückkehren

Wir können lernen, dass wir zerbrechliche Wesen sind

von Franz Boegershausen, Oldenburg
vom 03.04.2020
Artikel vorlesen lassen

»Wie verbringen Sie Ihren Tag?«, so lautet eine Ihrer Fragen. Nun: Das österliche Halleluja, das in dieser Zeit in der Regel mein Leben prägt, klingt in diesen Tagen schräg und falsch. Was beschäftigt mich? Ich ordne neu meinen Bücherschatz, gehe regelmäßig spazieren, staune über das Aufbrechen und Aufblühen in der Natur und lese ich das letzte Werk des portugiesischen Dichters Josè Saramago, das ich vor über 20 Jahren bereits mit Gewinn gelesen habe. Es handelt sich um »Die Stadt der Blinden«. Heute ist diese Erzählung aktuell; denn der Dichter zeigt sich hier als Profet. Da die Menschen blind sind für das wahre Leben, erblinden viele. Einige müssen eine grausame Zeit der Quarantäne erleiden. Nach einer Epidemie der Schändlichkeiten sieht sich der Leser – grausige Ironie – einem sentimentalen Ende gegenüber, an dem die Blinden ihr Augenlicht wiedererlangen. Trotz der drastischen existenziellen Handlung enfaltet der Dichter ebenfalls heilenden Humor. Zweck der humoristischen Einsprengsel könnte sein, den Leser ein wenig zum Weiterlesen zu ermutigen. Er deutet ebenso an, wie alle aus einem Extremzustand lernen können, dass wir zerbrechliche Wesen sind und der Gemeinsamkeit eher bedürfen als des »Sich-gegenseitig – fertig-machens«.

Ergänzen sollte ich noch, dass J. Saramago 1996 den Literaturnobelpreis erhalten hat. Vor einigen Jahren habe ich auf Lanzarote in seinem Haus, das heute ein Museum ist, nochmals seine spannende Dankesrede gelesen. Der letzte Satz lautet: »Die Welt ist so schön, daher ist so schade, dass ich sterben muss«

______

Alle Beiträge des Erzählprojektes »Die Liebe in Zeiten von Corona«

______

Jeden Morgen kostenlos per E-Mail: Spiritletter von Publik-Forum

4 Wochen freier Zugang zu allen PF+ Artikeln inklusive E-Paper
Schlagwörter: Lernen Quarantäne
Kommentare und Leserbriefe
Ihr Kommentar
Noch 1000 Zeichen
Wenn Sie auf "Absenden" klicken, wird Ihr Kommentar ohne weitere Bestätigung an Publik-Forum.de verschickt. Sie erhalten per E-Mail nochmals eine Bestätigung. Der Kommentar wird veröffentlicht, sobald die Redaktion ihn freigeschaltet hat. Auch hierzu erhalten Sie ein E-Mail. Siehe dazu auch Datenschutzerklärung.

Mit Absenden des Kommentars stimmen Sie der Verarbeitung Ihrer Daten zur Bearbeitung des Kommentars zu. Zum Text Ihres Kommentars wird auch Ihr Name gespeichert und veröffentlicht. Die E-Mail-Adresse wird für die Bestätigung der Bearbeitung genutzt. Dieser Einwilligung können Sie jederzeit widersprechen. Senden Sie dazu eine E-Mail an [email protected].

Jeder Artikel kann vom Tag seiner Veröffentlichung an zwei Wochen lang kommentiert werden. Publik-Forum.de behält sich vor, beleidigende, rassistische oder aus anderen Gründen inakzeptabele Beiträge nicht zu publizieren. Siehe dazu auch Netiquette.

Christian Lundbeck 04.04.2020, 08:49 Uhr:
Bücherschatz neu ordnen? Nein, ich misste aus, was ich wohl nie mehr in die Hand nehmen würde, außer Bücher, die eine besondere Bedeutung für mich oder für meine Familie haben. Später werde ich die Bücher-kisten in ein Antiquariat bringen. - Und lesen tue ich jetzt auch mehr als sonst.

Publik-Forum
Publik-Forum
Einen Moment bitte...
0:000:00
1.0