Woher kommt die Wut in der Welt?
Woher kommen der weltweit zunehmende Hass und die sich ausbreitende Wut? Hass und Wut sind zu Dauerkomponenten von Autoritäten geworden, die mal erregt und mal kaltschnäuzig inszeniert werden. Hass und Wut prägen auch etliche Bevölkerungsgruppen, die sich politisch nicht repräsentiert und durch prekäre Lebenssituationen benachteiligt sehen.
Der sozialkritische indische Essayist, Literaturkritiker und Schriftsteller Pankaj Mishra hat die Gegenwart als »das Zeitalter des Zorns« identifiziert. In seinem ungemein dichten Essay erkundet er die Gründe und den Vorlauf für »das Schüren von Hass gegen Immigranten, Minderheiten und diverse als ›Andere‹ definierte Menschen« und ihren »Eingang in den Mainstream – und das selbst in Deutschland, dessen Politik und Kultur nach dem Ende des Nationalsozialismus in der Forderung ›Niemals wieder!‹ gründeten«. Exzessive Ausbrüche von Wut, Zorn und Hass sind nicht nur bei allen politischen Großveranstaltungen zu registrieren wie zuletzt beim G20-Gipfel in Hamburg, sondern auch im Gewand von Twitter- und Facebook-Kommunikation sowohl bei zahlreichen Personen des öffentlichen Lebens als auch bei vielen Bürgern.
Rückblick auf die Erschütterungen im 19. und 20. Jahrhundert
Mishra, der in einem kleinen indischen Ort sowie in London lebt, deutet die Gegenwart weitläufig: Er blickt auf die Erschütterungen des 19. und 20. Jahrhunderts ebenso zurück, wie er alle Kontentinente und viele Länder in seine Betrachtung einbezieht. Daher sehen einige in ihm einen »globalen Intellektuellen«, der eine bislang fehlende Analyse einer »universellen Krise« präsentiert, die weiter reicht als bis zum »Kampf der Kulturen« und die tiefer dringt als die üblichen Erklärungen von Terrorismus und Gewalt.
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Unter Verzicht auf sozialwissenschaftliches Zahlenmaterial befasst sich Mishra in dichter, stets verständlicher und bisweilen collageartiger Schreibweise mit der Atmosphäre und den »Mustern des Fühlens und Denkens vom Zeitalter Rousseaus bis in unser Zeitalter des Zorns«. Allen historischen und aktuellen Ereignissen voran befasst er sich mit deutschen, russischen und italienischen, mitunter auch französischen Denkern des 18. und 19. Jahrhunderts und mit deren kulturellen Auswirkungen durch das 20. Jahrhundert hindurch bis in unsere Gegenwart.
Zentral ist für ihn, »im Ressentiment das Definitionsmerkmal einer Welt« zu sehen, »in der das moderne Gleichheitsversprechen mit massiven Unterschieden hinsichtlich Macht, Bildung, Status und Privatbesitz kollidiert«. Der Zorn ist der stille und eruptive Marker einer Moderne, die nicht einlöst, was sie vorgibt zu sein. Mishra leuchtet den gewaltigen und gewalttätigen Schatten aus, den die Moderne wirft. Eine fantastische Deutung im Dienst einer notwendigen gesellschaftlichen Veränderung, die schon zu lange auf sich warten und zu vielen die Hoffnung sterben lässt. Die Hoffnung liegt nur im Handeln wider eine Politik, die allein den globalen Kapitalismus profitabler macht – und für eine Politik zugunsten der Abgehängten.