Pro und Contra
Braucht es noch das Papstamt?

Michael Schrom: Ja!
Was würde fehlen, wenn es keinen Papst gäbe? Die weltweit größte Glaubensgemeinschaft mit 1,4 Milliarden Mitgliedern hätte keine integrierende Figur mehr, auf die sich alle Gläubigen beziehen, egal aus welchem Teil der Welt sie kommen. Eine Aufspaltung in Nationalkirchen nach orthodoxem oder evangelischem Vorbild wäre die Folge. Das Abendland (oder der Westen) verlöre seine älteste Institution und damit die Erinnerung an eine seiner Wurzeln. Es gäbe keine Person mehr, die mit einer vergleichbaren Autorität als moralische und religiöse Stimme der Christenheit wahrgenommen wird. Das sollte man nicht gering achten, zumal andere Religionen diese Möglichkeit nicht haben.
Gewiss: Das Papstamt hat sich mit Selbstzuschreibungen und Erwartungen überfrachtet, die es nicht erfüllen kann. Es hat sich in das Neue Testament hineinprojiziert, obwohl es auf Voraussetzungen beruht, die die Bibel nicht kennt. Dennoch ist es ein wirkmächtiges Narrativ. In seiner Zweiweltlichkeit ist es zutiefst paradox. Stellvertreter Christi, weltlicher Gesetzgeber, Diener der Diener Gottes und Brückenbauer gleichzeitig zu sein ist eine Stellenbeschreibung, die weder konsistent noch kohärent ist. Dennoch besteht gerade darin die Faszination des Papstamtes. Denn die katholische Kirche ist nach ihrem Selbstverständnis ja nicht nur eine Glaubens- oder Gesinnungsgemeinschaft, sondern der Körper der universalistischen Heilsreligion Jesu. Jeder Körper aber braucht ein Gesicht. Insbesondere unsere bildversessene Gegenwart zeigt: Nicht Programme entscheiden, sondern Personen. Selbst die Grünen plakatieren mittlerweile Köpfe auf ihren Wahlplakaten.
Natürlich ist die charismatische Aufladung des Papstamtes, wie sie schon unter Johannes Paul II. eingesetzt hat, gefährlich. Doch wenn er klug damit umgeht, kann ein Papst sein Charisma in den Dienst der Humanität, der Ökologie oder der Friedensvermittlung stellen und durch seine Gesten, Reisen und Ansprachen auf mehr Resonanz hoffen als jedes Konsenspapier aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen.
Zwar ist die Verfassungskrise, in die die antimodernistischen Päpste die katholische Kirche hineinmanövriert haben, nicht leicht zu überwinden. Doch die Geschichte zeigt, dass Veränderungen möglich waren und deshalb auch künftig möglich sind. Das spricht deshalb noch nicht gegen das Papstamt als solches, zumal die anderen Einheitsmodelle, etwa das synodale Modell der orthodoxen Kirchen, auch nicht recht überzeugen können. Sie bieten keinen besseren Schutz gegen die Gefahr der identitären oder der exklusivistischen Engführung. Um die Einheit des transnationalen Netzwerks der katholischen Kirche zu garantieren, sehe ich kein besseres Modell.
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Christoph Fleischmann: Nein!
Der Papst ist nicht einfach der oberste Repräsentant der Kirche, sondern er hat die »höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann«, wie es im katholischen Kirchenrecht heißt. Ihm gebührt – folgt man dem Kirchenjargon – der Jurisdiktionsprimat, und er kann in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre unfehlbar entscheiden. Übersetzt in die Sprache der Politik: Er vereint in seiner Person die souveräne Macht der Legislative, Exekutive und Judikative in seiner Kirche, gegen die es keine Appellationsinstanz gibt und die von keinem Gremium eingeschränkt ist.
Nach der kundigen Erzählung des Kirchenhistorikers Hubert Wolf (Publik-Forum 2/2021, Seite 30) wurde dieses Papstamt als Reaktion auf die Proklamation der Menschenrechte und die Forderung nach Freiheit im Denken auf dem Ersten Vatikanischen Konzil 1869/70 geschaffen. Seitdem steht es wie ein antiliberaler, vormoderner Leuchtturm in unserer Welt, dessen Besetzung derzeit 133 ältere Männer unter sich ausmachen. Glaubt jemand, dass man eine Weltkirche besonders effektiv von einem Hofstaat aus leiten kann, in dem letztlich nicht geordnete Verfahren, sondern die Nähe zum Souverän entscheidend ist? Ich kann nicht erkennen, wozu solch ein Amt gut sein soll, außer den Katholizismus für antiliberale und demokratiefeindliche Kräfte attraktiv zu halten, von denen es derzeit leider wieder viele gibt.
Aber vielleicht irre ich: So ein starker »heiliger« Vater, der alles zum Wohle aller lenkt, ist vielleicht auch für diejenigen attraktiv, die sonst demokratische Spielregeln durchaus schätzen, aber an irgendeiner Stelle mal Entlastung haben wollen von den Zumutungen der komplexen Lebenswelt. Oder der allmächtige Vater wird gebraucht als Figur, der man sich in beständiger Opposition verbunden fühlen kann und der damit das eigene »Progressivsein« bestätigt, das immerhin darin besteht, gegen den letzten Irrläufer des Absolutismus zu kämpfen.
Nun denn, wer den Papst braucht, der schaue gebannt auf das männerbündische Ritual des Konklave. Vor den Türen tummeln sich die Tuschler, und die Kameras der Welt sind auf den Schornstein gerichtet, als wäre das, was in der Sixtinischen Kapelle geschieht, von höchster Relevanz. So überlebt ein dysfunktionales, antiliberales und anachronistisches Amt. Es nährt sich aus der geheimnisvollen Inszenierung und dem Interesse, das ihr entgegengebracht wird. Wegzuschauen und das Ganze zu ignorieren, wäre die erste Pflicht derer, die sich eine Änderung wünschen. Sie werden nichts verpassen. Denn das Entscheidende steht schon vor der Wahl fest: Auch der neue Papst wird ein Papst sein.
Michael Schrom ist Leiter des Ressorts Religion und Kirchen.
Christoph Fleischmann ist Redakteur im Ressort Religion und Kirchen.
Braucht es noch das Papstamt?
