Kino-Tipp
Ein Zuhause auf schwankendem Boden
Kino. Die 22-jährige Inez ist ziemlich weit unten angekommen. Gerade aus dem Gefängnis entlassen, versucht sie mit aller Kraft, sich wieder zu berappeln. Ohne Job und festen Wohnsitz, nimmt sie dennoch den sechsjährigen Terry zu sich. Das Kind, von einer Pflegefamilie zur nächsten durchgereicht, wird ihr Ein und Alles, während ihr Partner Luke meist nur Ärger macht. Inez will Terry jenes Zuhause bieten, das sie selbst nie hatte. In diesem gefeierten Debütfilm wird eine afroamerikanische Frau porträtiert, deren Leben ein Tanz auf dem Drahtseil ist, die strauchelt und sich wieder fängt. Zweiter Hauptdarsteller ist New York, oder vielmehr der Stadtteil Harlem in den Zeiten der Gentrifizierung. In der von 1994 bis 2005 spielenden Handlung geht es auch darum, wie der damalige Bürgermeister Rudy Giuliani die Metropole umkrempelte und Polizeimethoden einführte, durch die besonders Afroamerikaner diskriminiert wurden. Je mehr Baustellen in ihrer Straße wachsen, umso mehr wird Inez bewusst, auf welch schwankendem Boden sich das kleine Nest, das sie zwischenzeitlich für sich und Terry errichtet hat, befindet. Ohne Elendsvoyeurismus oder erhobenen Zeigefinger werden in dieses Drama aktuelle Themen eingewoben und die Fallstricke einer von strukturellem Rassismus und Misogynie geprägten Gesellschaft aufgezeigt, in der viele Menschen kaum eine Chance haben. Ihre emotionale Wucht gewinnt diese Geschichte aber durch die ambivalente Heldin, die – voller Wut und doch verletzlich – einer der vielschichtigsten Frauencharaktere ist, die im Kino in letzter Zeit zu sehen waren.
Film von A. V. Rockwell, 117 Min. Ab 12 J.