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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 11/2023
Der Inhalt:
Leben & Kultur

Pro und Contra
Oben Ohne für alle?

In Berlin und Göttingen dürfen ab diesem Sommer Frauen mit nacktem Oberkörper ins Schwimmbad gehen. Sollte diese Regelung bundesweit gelten? Diskutieren Sie mit und stimmen Sie ab!
vom 06.06.2023
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Zu freizügig fürs Freibad? Was würde sich ändern, wenn Frauen ohne Bikini-Oberteil schwimmen dürften? (Foto: PA/ZB/euroluftbild.de)
Zu freizügig fürs Freibad? Was würde sich ändern, wenn Frauen ohne Bikini-Oberteil schwimmen dürften? (Foto: PA/ZB/euroluftbild.de)

Nana Gerritzen: Ja!

Die Angleichung der Badebekleidungsregeln ist überfällig – auch wenn es natürlich deutlich drängendere gesellschaftspolitische Fragen gibt als die Frage, wer wann und wo ein Bikini-Oberteil anziehen muss und wer nicht. Sowohl in Göttingen als auch in Berlin gingen der Liberalisierung der Badewiese Fälle voraus, in denen Frauen von der Polizei aus dem Freibad abgeführt wurden oder ihnen Hausverbot erteilt wurde – nur, weil sie kein Bikini-Oberteil anziehen wollten. Im 21. Jahrhundert!

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 11/2023 vom 09.06.2023, Seite 8
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Dass ausgerechnet Deutschland, das sich gerne eine Vorreiterrolle in Sachen Gleichberechtigung zuschreibt, Unterschiede zwischen dem Oberkörper eines Mannes und dem einer Frau macht, ist grotesk. Die Argumente dagegen ebenso: 1. Frauen würden verstärkt von männlichen Jugendlichen oder Männern angestarrt oder belästigt, wenn sie oben ohne badeten. Ja, das ist gut möglich. Aber sollte moralisch fragwürdiges und strafrechtlich relevantes Verhalten mancher Männer in einer modernen Gesellschaft allen Frauen Bekleidungsvorgaben diktieren? Ist das nicht genau dasselbe Muster, das wir bei manchen nicht-westlichen Kulturen kritisieren? 2. Frauenbrüste werden anders gelesen als Männerbrüste. Auch das stimmt, aber da können wir Frauen nichts dafür. Frauenbrüste werden seit jeher sexualisiert, für Werbezwecke genutzt und wurden jahrzehntelang auf der Titelseite der auflagenstärksten deutschen Tageszeitung abgedruckt. Aber auf der Liegewiese sind sie unangemessen? 3. Kinderschutz. Der Besuch eines Freibads ist nicht risikofrei für Kinder, auch das stimmt. Die potenzielle Kindeswohlgefährdung durch unbekleidete weibliche Brustwarzen dürfte eher gering ausfallen.

Jedem, der sich weiterhin von der weiblichen Brustwarze herausgefordert fühlt, sei gesagt: Selbst wenn sich oben ohne für alle bundesweit durchsetzen sollte, ist nicht zu erwarten, dass viele Frauen von ihrem neuen Recht Gebrauch machen würden. Weder in Göttingen, wo schon im vergangenen Jahr oben ohne gebadet werden durfte, noch in Berlin, wo die neue Regel seit Saisonstart gilt, haben sich die Frauen seither reihenweise die Oberteile von den Leibern gerissen. Den Initiatorinnen geht es ja eben nicht darum, eine überflüssige Vorgabe durch eine neue zu ersetzen. Sie setzen sich für Selbstbestimmung ein. Für die Entpolitisierung des vieldiskutierten Frauenkörpers – wenigstens bei 35 Grad im Schatten im Schwimmbad.

Sie wollen und wir wollen nur die Freiheit, uns beim Schwimmen und beim Sonnenbad genauso wenig Gedanken um zu viel oder zu wenig Stoff am Körper zu machen, wie die allermeisten Männer.

Matthias Drobinski: Nein!

Ich bin ein schlechter Schwimmer. Ich kann nicht kraulen, also rudere ich im Wasser wenig elegant mit den Armen herum. Da ich auch noch ziemlich kurzsichtig bin, berühre ich dabei im Schwimmbrillennebel immer wieder andere Menschen im Becken; manchmal auch Frauen an der Brust. Das ist mir dann ziemlich peinlich. Aber noch viel unangenehmer wäre es mir, ich würde in dieser Situation eine nackte Frauenbrust berühren.

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Gegen mein Peinlichkeitsgefühl lässt sich leicht argumentieren: Kann nicht jede Frau selbst entscheiden, ob sie das Risiko eingehen will, von einem halbblind schnaufenden Schwimmer berührt zu werden? Ist es nicht schlicht ein Akt der Gleichberechtigung, wenn auch Frauen oben ohne ins Wasser springen dürfen, wie Männer das seit jeher tun? Es wäre ja auch dann nicht verboten, die Brüste zu bedecken; Frauen so wenig wie Männern.

Und doch bin ich froh, dass dort, wo ich schwimme, jener Millimeter Stoff erwünscht ist, der meine Hand vom Busen der anderen trennt. Ohne ihn wäre die Zweideutigkeit der Berührung noch schwerer aufzuheben als jetzt. Dafür sind kulturelle Übereinkünfte da: dass sie Situationen vereindeutigen, Sphären abgrenzen, Bereiche des Eigenen markieren, die sonst stets neu ausdiskutiert werden müssten.

Ein nackter weiblicher Busen ist in den westlichen wie den asiatischen wie den muslimisch-arabischen Kulturen dieser Welt ein Sexsymbol. Das lässt sich als Teil patriarchaler Machtausübung dekonstruieren, man kann sich das tapfer wegwünschen – es ist aber so. Diesen März veröffentlichte das Magazin Focus eine Umfrage, der zufolge 55 Prozent der befragten Frauen gegen »oben ohne« im Schwimmbad waren, 56 Prozent der Männer aber dafür. Die werden dabei sicher nichts anderes im Sinn gehabt haben als die Dekonstruktion des Patriarchats. Viele Frauen wiederum dürften geahnt haben, woher die Toleranz der Männer rührt.

Die Vorstellungen über das, was schicklich ist, können sich ändern; im August 1919 empörte sich die deutschnationale Presse aufs höchste über ein Foto des Reichspräsidenten Friedrich Ebert in der Badehose. Aber ich habe den Eindruck, dass Nacktheit heute sogar für mehr Menschen mit Scham besetzt ist als eine Generation zuvor, und das nicht nur, weil mehr fromme Musliminnen und Muslime im Land leben als in den 1980er-Jahren.

Öffentliche Schwimmbäder sind Orte, an denen sehr verschiedene Vorstellungen von Sexualität, Nacktheit und Scham einander begegnen und miteinander auskommen müssen, einen Sommernachmittag lang. Es gibt gute Gründe, dass es dort Regeln gibt, die dem Rechnung tragen.

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Personalaudioinformationstext:   Nana Gerritzen ist Redakteurin im Ressort Politik & Gesellschaft.

Matthias Drobinski ist Chefredakteur vonPublik-Forum.
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In Berlin und Göttingen dürfen ab diesem Sommer Frauen mit nacktem Oberkörper ins Schwimmbad gehen. Sollte diese Regelung bundesweit gelten? Diskutieren Sie mit und stimmen Sie ab!
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Christian-Rainer Weisbach 07.07.2023:
Beim Contra setzte bei mir spontanes Fremdschämen ein. Argumentieren Männer von heute wirklich noch so gestrig? Weil die Gefahr besteht, dass es ihm peinlich wäre, wenn er beim unbeholfenen Schwimmen unabsichtlich die unbekleidete Brust einer Frau berühren könnte, sollen diese aus Rücksicht auf ihn nicht oben ohne schwimmen. Diese patriarchale Vorstellung ähnelt dem orientalischen Männerbild: Dort müssen sich Frauen in der Öffentlichkeit verschleiern, damit Männern die Peinlichkeit erspart bleibt, beim Anblick weiblicher Haare erregt zu werden.

Jutta Holstein 07.07.2023:
Nicht Männer werden sensibilisiert, aufgeklärt, geschult oder zwangsberuhigt. Mann setzt lieber Frau unter General- oder Zwangsschutz. Hier muss der Oberkörper bedeckt werden, da das Haar, dort das Knie oder die ganze Frau. Manchmal muss sie sich auch ausziehen für die Werbung oder das Amüsement. Ich möchte selbst entscheiden, was ich wann, wo und warum an- oder ausziehe. Ich will sicher sein vor übergriffigen Männern. Also benehmt euch endlich wie echte Männer: souverän, sensibel, gewaltfrei.

Heinz-Jochen Baeuerle 07.07.2023:
Gemessen an den gewohnt hohen Ansprüchen an Themenauswahl, deren Aktualität und Wichtigkeit, halte ich dieses Thema für völlig überflüssig. Es gibt so viele aufrüttelnde Ereignisse in der Welt, die uns in dieser Zeit mit Recht beschäftigen müssen und journalistisch bearbeitet werden sollten.

Anita Stalf 19.06.2023, 17:11 Uhr:
Anita Stalf, Bensheim
ich finde es unglaublich und beschämend, dass es in unserer heutigen Zeit mit so vielen existenziellen Problemen, wo Menschen -besonders auch viele Frauen mit Kindern- auf der Flucht sind, Hunger leiden und Hilfe suchen, es in unserem Lande derart egozentrische, anstands-und respektlose Wohlstandsfrauen gibt, die keine anderen Sorgen haben, als dafür zu kämpfen, "Oben ohne" in öffentliche Bäder gehen zu können. Hallo, Geht's noch!
Ob das andere Menschen unangenehm finden, ist ja egal. Diese Typen handeln nach dem Motto: ICH bin Ich, Ich will machen können was ICH will, der Rest der Welt ist mir egal .Rücksichtnahme, Respekt, Anstand oder gar Scham scheint es nicht mehr zu geben.
Und das Argument, weil Männer das dürfen: lächerlich!
Der männliche Körper ist anders. Männer können auch nicht mit baumelnden Brüsten, die sie nicht haben, durch die Gegend laufen.
Ich jedenfalls finde eine Frau in einem schicken Bikini wesentlich ästhetischer als ohne.

Dr. Walter Keil 17.06.2023, 09:01 Uhr:
Meine Frage an beide Autoren: "Woher nehmen wir nur all unser Nichtwissen?"
Über die Wirkung nackter Haut speziell auf männliche Mitmenschen gibt es mittlerweile genügend Forschungsergebnisse, die alle diejenigen aufklären könnten, die ihre eigenen Gefühle nicht wahrnehmen wollen oder können.
Hier nur 2 kleine Beispiele: https://www.wissenschaft.de/allgemein/warum-lockt-nackte-haut/
https://www.wissenschaft-aktuell.de/artikel/Schnelle_Reaktion_auf_nackte_Haut1771015588085.html
Vielleicht wäre die Einrichtung von abgetrennten Nackt-Zonen in öffentlichen Bädern eine Hilfe?

Konrad Bütow 15.06.2023, 11:13 Uhr:
Jeder kann machen, was er will, ist kein demokratisches Grundprinzip. Das ist z.B. auch im Straßenverkehr zu beachten.
Zwar ist die weibliche Brust kein Geschlechtsorgan, wohl aber ein entscheidendes erotisches Geschlechtsmerkmal.
Erotik wiederum bedeutet sinnliche und sexuelle gegenseitige Anziehungskraft. Diese erfordert Respekt, Behutsamkeit und in der Öffentlichkeit Zurückhaltung.
Mit dem wichtigen sozialen und gesellschaftspolitischen Thema „Gleichstellung der Frau“ hat das nicht das Geringste zu tun. Bei „oben ohne“ werden viele Männer die Frau lediglich als Lustobjekt betrachten. Wo sind die Grenzen? Die Nudisten fordern die gänzliche Nacktheit in öffentlichen Bädern. Nacktheit hat in der Öffentlichkeit nichts zu suchen, sie gehört in den Bereich der Intimität.







Gustav Haab 15.06.2023, 07:04 Uhr:
Als ehemaliger Sachbearbeiter für Sexualdelikte habe ich Opfer der Silvesternacht in Köln 2015/16 kennengelernt. Sie haben erklärt, anhand der Erfahrungen sich in Zukunft nicht mehr so "offenherzig" zu kleiden! Aus Selbstschutzgründen! Bei der derzeitigen Respektlosigkeit in unserer Gesellschaft möchte ich vor allzu freizügigem Verhalten warnen. Es gibt geschützte Bereiche, in denen man der Freikörperkultur Rechnung tragen kann!

Jutta Holstein 12.06.2023, 11:17 Uhr:
Frauen sollen davor geschützt werden, von Männern belästigt, vergewaltigt, geschlagen zu werden. Nicht Männer werden sensibilisiert, aufgeklärt, geschult oder zwangsberuhigt. Mann setzt lieber Frauen unter General/Zwangs- schutz. Hier muß der Oberkörper verdeckt werden, da das Haar, dort das Knie und dort die ganze Frau. Manchmal muß sie sich auch ausziehen für die Werbung, das Amüsement, die "Regeln". Ich möchte selbst entscheiden was ich wann, wo und warum an-oder ausziehe. Und! Ich will sicher sein vor übergriffigen Männern. Also Männer benehmt euch endlich wie echte Männer: souverän, sensibel, gewaltfrei!

Christiane Bastert 12.06.2023, 05:59 Uhr:
Ein Oberteil-Verbot wäre eindeutig falsch. Jede Frau sollte frei entscheiden können, sie kennt die Risiken mit ziemlicher Sicherheit besser als Männer. Verbote für Frauen aus Rücksicht auf Männerproblene sind der übliche falsche Weg zur Lösung.

Christiane Gdaniec 08.06.2023, 10:36 Uhr:
Iih, bloß nicht!

Georg Lechner 07.06.2023, 17:11 Uhr:
In den 80er - Jahren war das im örtlichen Schwimmbad überhaupt kein Problem (etwa 10 % der Frauen dort verzichteten auf den Bikini-Oberteil), ebensowenig an den Stränden der oberen Adria (da waren es noch mehr, etwa ein Viertel). Dann ging der Anteil zurück, ab etwa 2000 faktisch Null.

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