Franziskus und Nahost
Wie der Papst die Juden verstört
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Das Schreiben, mit dem sich Papst Franziskus vor wenigen Wochen an die Katholiken im Nahen Osten wandte, hat weithin für Kritik gesorgt: »Ich war zutiefst schockiert, als ich den Brief von Papst Franziskus zum Jahrestag des 7. Oktobers gelesen habe«, mit diesen Worten reagierte der israelische Historiker Israel J. Yuval, der weltweit zu den profiliertesten Wissenschaftlern im jüdisch-christlichen Dialog gehört, auf den Brief von Papst Franziskus. Der jüdische Bibelwissenschaftler Ethan Schwartz bezeichnete den Papstbrief als Desaster für die christlich-jüdischen Beziehungen. Und der amerikanische Rabbiner Avi Shafran verlangte gar eine Entschuldigung des Vatikans. Sein Vorwurf: Der Brief kolportiere antisemitische Klischees. In Deutschland ist ein Aufschrei weithin ausgeblieben. Was ist das Problem mit de
Gottfried Arlt 20.12.2024:
Der Antisemitismus-Vorwurf, der gegen den Papst erhoben wird, ist völlig verfehlt, weil der Papst nach meinem Verständnis falsch verstanden wird. Der Papst spricht nicht die Sprache einer Politik, die vorwiegend nach Schuld statt nach Ursachen fragt, die oft mit doppeltem Maß je nach Lager urteilt, eine Politik, die Feindbilder braucht. Deswegen benutzt er keine Namen, weder Israel noch Palästina, weder Hamas noch Netanjahu, nur Gaza als Ortsangabe, wo Menschen leiden, auch Katholiken, an die er sich mit seinem Schreiben richtet. Er spricht die Sprache Jesu, die nach dem Geist, der die Menschen antreibt, fragt, dem Geist, der alle Menschen, Freund wie Feind, mit der gleichen Liebe ansieht und ihr Leiden mitleidet. Ist die Hamas am Krieg Netanjahus gegen sie und an der Vertreibung und dem Tod Zehntausender dieser Menschen schuld? Die Hamas hat ihn ausgelöst, aber wer einen Krieg beginnt und wie er ihn führt, ist selbst dafür verantwortlich, die Hamas genauso wie Netanjahu und auch Putin und alle andern, die Kriege beginnen und führen. Die Verbrechen der Hamas können die Verbrechen Netanjahus an der Zivilbevölkerung in Gaza nicht entschuldigen. Netanjahu war zu diesem Krieg nicht gezwungen. Am Anfang waren Verhandlungen noch erfolgreich und haben zu einer Befreiung von einem Teil der Geiseln geführt. Warum danach nicht mehr? Netanjahu kann die Hamas besiegen, sodass sie keine militärische Bedrohung mehr ist. Aber der Hass gegen Israel überall in der Welt wächst und kann für Israels Existenz zu einer schlimmeren Bedrohung werden. Kann es sein, dass der Vorwurf des Antisemitismus an den Papst auch dazu dienen soll, den Krieg Netanjahus zu entschuldigen?
Wolfgang Friedl 20.12.2024:
Der Artikel hat mich veranlasst, das Schreiben von Papst Franziskus an die Katholiken im Nahen Osten selbst zu lesen. Dieses Schreiben berührt mich tief. Voller Erbarmen ist er für die geschundenen Menschen, und das sind eben gerade die Menschen im Gazastreifen. Der Papst lässt sich auf keine politische Debatte ein, er erinnert nur daran, was allen Menschen gemeinsam sein sollte, nämlich die Suche und die Sehnsucht nach dem Frieden unter den Menschen. Krieg, jeden Krieg, verurteilt er mit den schärfsten Worten, die hier möglich sind. »Selig sind die, die Frieden stiften«, so wird Jesus im selben Heft zitiert. Was soll daran antijüdisch sein? Schon die Überschrift »Wie der Papst die Juden verstört« ist anmaßend und falsch. Es sind gewiss nicht die Juden, die den Krieg in Nahost unterstützen, auch nicht alle Israelis tun das, ebenso wenig wie alle Palästinenser. Auf beiden Seiten gab und gibt es Menschen, die den Ausgleich und den Frieden suchen und suchten. Solchen Menschen, gewiss nicht nur den Adressaten des Briefes, spricht der Papst Mut zu, versichert sie seiner Nähe, fordert sie zu Gebet und Fasten auf. Ist unsere Diskursfähigkeit so weit heruntergekommen, dass das urchristliche Anliegen, das der Papst eindringlich in Erinnerung rief, so übersehen, sein Text so missverstanden werden kann? Den Juden tun die Autoren damit gewiss keinen Gefallen.
Heinz-Hermann Ingwersen 20.12.2024:
Wer sich seit dem letzten Jahr damit beschäftigt hat, der weiß, dass der Vorwurf des Antisemitismus jeden treffen kann, der mit dem Vorgehen der Israelischen Armee in Gaza nicht einverstanden ist. Natürlich wissen auch die Professoren René Dausner und Christian Frevel, dass Papst Franziskus sogar im Vatikan keinen leichten Staat hat. Dass nun aber die beiden Autoren mit dem Zitat aus dem Johannesevangelium den Beweis antreten wollen, dass das katholische Kirchenoberhaupt Antisemit sei, ist in der Tat völlig danebengegriffen. Denn ich bin mir sicher, dass mit dem »Geist des Bösen, der Krieg schürt«, natürlich der Teufel gemeint ist. Für mich ist es derselbe, der den Deutschen zwischen 1939 und 1945 den Hass und den Völkermord an den Juden und Russen vorgegeben hat und die Amerikaner zu ihren Gräueltaten in Indonesien, Vietnam und Irak verleitete.
Karl-Heinz Zander 06.12.2024, 10:59 Uhr:
Leserbrief zu: "Wie der Papst die Juden verstört"
PuFo Nr. 22/2024, 40f.
Ein Blick in seine Vita zeigt, dass Papst Franziskus jeden Antisemitismus ablehnt. Warum aber kommen zwei deutsche Theologen zu der Auffassung, dass die Äußerungen von Papst Franziskus in seinem Brief an die Christen im Nahen Osten antisemitisch seien? Es hat wohl etwas mit der deutschen Sicht der Dinge zu tun: Menschenverachtende Kriegshandlungen der augenblicklichen israelischen Regierung werden verleugnet und immer noch als Selbstverteidigung des Staates Israel dargestellt. Ist es da ein Wunder, dass der Papst an den Krieg als 'Mörder von Anfang an' erinnert? Wir Deutschen sollten uns daran gewöhnen, dass auch israelische Regierungen böse handeln können und dass wir dies mit Recht kritisieren dürfen.
Karl-Heinz Zander, Bochum