Pro und Contra
400 Milliarden Euro für Verteidigung?

Constantin Wißmann: Ja!
Man sollte sich nichts vormachen. Ein Sondervermögen, das klingt nach einer Erbschaft von einer reichen Großtante, die dem Staat plötzlich in den Schoß gefallen ist. Es ist aber nichts anderes als zusätzliche Schulden, für die die Steuerzahler am Ende aufkommen müssen. Und 400 Milliarden Euro sind sehr viel Geld, das, egal, wie man es nennt, an anderen Ecken des Landes irgendwann fehlen wird.
Schmerzhaft wäre ein derartiges Sondervermögen also, ohne Zweifel. Nur geht es gerade um nichts Geringeres als um unseren Frieden und unsere Freiheit. Das sind unbezahlbare Werte, und deshalb muss wirklich alles, was nötig ist, investiert werden.
Die vordringlichste Aufgabe eines Staates ist es, für die Sicherheit der Menschen zu sorgen, die in ihm leben. Und diese Sicherheit ist in Deutschland so bedroht wie nie seit 1945. Wladimir Putin hat mit seinem Krieg in der Ukraine den größten Krieg in Europa seitdem begonnen. Und die USA, die bisherige Schutzmacht des Westens, sind seit Donald Trumps Wahlsieg kein verlässlicher Partner mehr, das wurde in den vergangenen Wochen nur allzu deutlich.
Die Ukraine wird gerade zu einem für sie nachteiligen Frieden gezwungen. In Wahrheit wird das kein Frieden sein, sondern Europa in finstere Zeiten zurückwerfen. Wenn Deutschland nichts tut, steigt die Kriegsgefahr mit einem Diktator, der vor nichts zurückschreckt, um seine Großmacht-Fantasien zu erfüllen. Wenn Deutschland und Europa nicht glaubhaft vermitteln können, dass sie sich im Falle eines Angriffs verteidigen können, wird das Aggressoren wie Wladimir Putin nur weiter ermutigen.
Die Bundeswehr in ihrem derzeitigen Zustand aber schreckt niemanden ab. Der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, schrieb nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine 2022: »Das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da.« Daran hat auch das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, das Bundeskanzler Olaf Scholz eingerichtet hat, nicht viel geändert. Erst einmal mussten damit zahlreiche vorhandene Löcher gestopft werden. Militärexperten wie der Politikwissenschaftler Carlo Masala haben durchgespielt, wie lange Deutschland sich bei einem russischen Angriff verteidigen könne. Sie sind auf wenige Wochen gekommen.
Natürlich kann es nicht die Lösung sein, die Bundeswehr einfach mit Geld zuzuschütten. Gerade in der Bundeswehr geht viel davon verloren, durch Ineffizienz und überteuerte Beschaffung. Das muss verbessert werden. Doch eine schlagkräftige Armee ist nun einmal teuer, daran wird sich in den nächsten Jahren nichts ändern. Dieser Preis ist hoch. Aber er ist leider nötig.
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Jan van Aken: Nein!
Viele Menschen machen sich Sorgen, dass der Krieg auch zu uns, hier nach Deutschland kommen könnte. Diese Sorgen sind nur allzu verständlich, hat Russland doch ein Nachbarland überfallen und mit einem brutalen Krieg überzogen. Deshalb ist es völlig richtig, sich auch über die Sicherheit unseres Landes Gedanken zu machen.
Um unsere Verteidigungsfähigkeit steht es allerdings deutlich besser, als oft behauptet wird. Das gilt auch, wenn wir davon ausgehen, dass die neue US-Regierung unter Donald Trump Europa komplett fallen lassen wird. Allein die europäischen Nato-Staaten, ohne die USA, geben jährlich 420 Milliarden US-Dollar für Rüstung aus. Auf russischer Seite sind es nur 300 Milliarden – und bei dieser Zahl ist schon die unterschiedliche Kaufkraft in Russland mit einberechnet. 420 zu 300, das ist ein Kräfteverhältnis, das mich deutlich beruhigt. Zumal Militärexperten betonen, dass für einen Angriffskrieg ein Vielfaches der militärischen Stärke des Verteidigers benötigt wird. Von einer militärischen Unterlegenheit der EU gegenüber Russland kann also keine Rede sein.
Wenn einige Militär-Analysten jetzt immer wieder betonen, dass die EU gar nicht die militärische Stärke habe, sich zu verteidigen, dann ist das oft auch interessengeleitet. Natürlich wollen die Militärs immer mehr Geld für den Verteidigungshaushalt, das ist im Grunde genommen auch ihr Job. Aber die realen Zahlen sprechen eine andere Sprache.
Wir müssen uns auch die Frage stellen, wofür diese ganze Aufrüstung gut sein soll. Für eine reine EU- und Landesverteidigung? Dann reichen die 420 Milliarden auf jeden Fall aus. Deutschland könnte viele Waffensysteme einsparen, die es ausschließlich für Auslandseinsätze der Bundeswehr braucht und die mit einer Verteidigung gegen Russland gar nichts zu tun haben. Ich wünsche mir eine EU, die keine Weltmachtambitionen hat, sondern die sich als Friedensmacht aufbaut und ein Militär ausschließlich zur Bündnisverteidigung unterhält. Das ließe sich sogar mit deutlich weniger Geld bewerkstelligen.
Die jetzt geforderten 400 oder mehr Milliarden zusätzlich für Rüstung sind abenteuerlich – und auch ein Vergehen an künftigen Generationen. Denn zum einen dreht das die Rüstungsspirale unaufhörlich weiter, nach oben hin offen. Und zum anderen muss das Geld ja irgendwann auch zurückgezahlt werden. Es ist doch kein Zufall, wenn parallel zu diesen horrenden Rüstungsausgaben eine Streichung des Elterngeldes diskutiert wird. Am Ende werden wir alle – und unsere Kinder – den Preis dafür zahlen. Sicherheit muss immer auch soziale Sicherheit bedeuten.
Constantin Wißmann ist Redakteur bei Publik-Forum.
Jan van Aken ist Parteivorsitzender der Linken.
