Pro und Contra
Sollte eine Corona-App Pflicht sein?
Gregor Thüsing:
Ja, freiwillig bringt die App nichts!
Die Epidemiologen sind sich einig: Die Nachverfolgung von Infektionsketten ist ein wesentliches, vielleicht das entscheidende Element der Pandemiebekämpfung. Je besser und schneller uns dies gelingt, desto größer ist die Bewegungsfreiheit, die uns allen eingeräumt werden kann. Das Mittel der Wahl scheint hierfür eine Handy-App zu sein, die Kontakte mit infizierten Personen nachvollziehbar machen kann. Das Ziel ist es, möglichst viele zum Mitmachen zu bewegen. Ob das freiwillig gelingen kann, ist fraglich. Die Politik muss daher abwägen, ob es eine freiwillige App geben soll oder eine Pflicht. Sicher ist: Einige würden die App nicht nutzen aus Gleichgültigkeit und weil ihnen das zu lästig ist, andere, weil sie grundsätzliche oder spezifische Datenschutzbedenken haben. Niemand weiß, wie viele – aber Schätzungen gehen davon aus, es wäre etwa die Hälfte der Bevölkerung, und dann würde das System nicht funktionieren. Die Rechtsordnung muss diese Weigerung nicht akzeptieren. Denn die Einwilligung ist nur eine mögliche Legitimation von Datenverarbeitung. Artikel 9 der Datenschutzgrundverordnung erlaubt ausdrücklich die Verarbeitung von Gesundheitsdaten, wenn sie erforderlich ist »aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie dem Schutz vor schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren«. Rechtlich ist die verpflichtende App also möglich.
Zu suggerieren, Datenschützer oder Juristen könnten der Politik die Entscheidung abnehmen, ist falsch. Und lenkt ab von der Diskussion, die viel wichtiger ist: Wie schützen wir die Daten technisch optimal, wie machen wir transparent, was mit den Daten passiert, wie sichern wir, dass die Daten nicht zweckentfremdet werden? Wenn das geklärt ist, kann die App kommen.
Jochim Selzer:
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Nein, das geht schon praktisch nicht!
Eine App kann bei der Eingrenzung einer meldepflichtigen Seuche sinnvoll sein, birgt aber bei falschem Design einige Risiken. Schlimmstenfalls werden lückenlose Bewegungsprofile von Millionen Menschen erstellt und auf einem Stadtplan die Aufenthaltsorte von Infizierten rot markiert. Um dies zu verhindern, führt der Chaos Computer Club in einem Katalog die in seinen Augen unerlässlichen Kriterien für eine Corona-App auf. Dazu zählt zum Beispiel, dass die App zweckgebunden ist und möglichst datensparsam, dass die erhobenen Daten nicht mit anderen Informationen verknüpft werden, dass es keine zentrale Instanz gibt, die diese sammelt – und dass sie auf Freiwilligkeit beruht. Um einigermaßen verlässliche Daten zu erzeugen, müssen möglichst viele diese App installieren. Natürlich liegt der Gedanke nahe, die Leute per Verordnung dazu zu verpflichten. Aber von datenschutzrechtlichen Bedenken mal ganz abgesehen: Wie soll das funktionieren? Wie wollen die Behörden das kontrollieren? Soll es eine Streife geben, die Menschen ohne Smartphone aufspürt? Und dann? Auch auf dem Telefon selbst gibt es mehrere Möglichkeiten, das Programm zu täuschen. Natürlich kann man diese Tricksereien unterbinden, aber dazu müsste sich das Programm nach außen abschotten, und dann weiß wieder niemand, ob es nicht doch heimlich mehr aufzeichnet, als es soll. Oder ich müsste rund um die Uhr mit Kontrollfragen der App rechnen, ob ich auch wirklich in der Nähe meines Telefons bin – was gesellschaftlich kaum durchsetzbar wäre.
Wir haben derzeit in der öffentlichen Meinung weitgehende Einigkeit, was Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise angeht. Die Menschen sind zu vielem bereit, wenn sie vernünftige Argumente hören. Wir sollten dieses Vertrauen nicht mit einer Pflicht zur App zerstören.
Jochim Selzer, geboren 1969, ist Mitglied im Chaos Computer Club. Ehrenamtlich berät er zudem Kirchenkreise in puncto Datenschutz.
Leo H. 26.05.2023:
Die Auseinandersetzung mit der Nakba und auch dem aktuellen Leiden der Palästinenser:innen ist dringend notwendig, auch im Rahmen eines theologischen Diskurses, wie er auf dem Kirchentag gepflegt wird. Die Nakba-Ausstellung wurde allerdings von unterschiedlichen Seiten als tendenziös, mangelhaft und in der historischen und politischen Darstellung als unterkomplex kritisiert. Diese Mängel sind nicht zufällig, sondern tendenziell antisemitischen Topoi zuzuordnen, auch christlichen. Insofern hat der Kirchentag eine besondere Verantwortung für eine differenzierte Auseinandersetzung. Differenzierter als eine tendenziöse Ausstellung, die seit 2008 kritisiert wird und seitdem mit dem Aufschrei »Sprechverbot« droht.
Klaus Dorn 26.05.2023:
Ja, eine solche Ausstellung kann den Antisemitismus anfeuern. Ja, Juden leben seit der Antike in diesem Gebiet und ja, Juden wurden und werden aus vielen Ländern vertrieben, auch aus arabischen Ländern. Und die Shoah ist das größte Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts, vielleicht sogar der ganzen Menschheitsgeschichte. Aus diesen Gründen jedoch das Schicksal der Palästinenser nicht zu dokumentieren, ist nicht hinnehmbar. Man kann nicht das größere Leid der Juden gegen das Leid der Palästinenser aufrechnen, das im Übrigen auch bis zur Stunde andauert. Die Reflexion darüber muss der jüdisch-christliche Dialog, den auch ich betreibe, aushalten.
Manfred Jeub 26.05.2023:
Es waren israelische Historiker, die den zionistischen Gründungsmythos (»Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land«) durch akribische Quellenarbeit demontierten. Auf ihren Ergebnissen beruht die Ausstellung. Der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm vertritt die Auffassung, dass die israelische Gesellschaft nicht gesunden und zu einem Frieden kommen kann, wenn sie ihre Vergangenheit nicht aufarbeitet. Ich denke, dass man dem gerade aus deutscher Erfahrung nur zustimmen kann. Ich sehe aus der schuldhaften Vergangenheit resultierend eine doppelte Verantwortung, gegenüber den Juden, aber auch gegenüber den Palästinensern.
Der skeptiker 29.06.2020, 15:42 Uhr:
Hab mir die App installiert. Musste aber feststellen, dass diese zwei für mich wichtige Nachteile hat. Erstens: mein Akku wird so schnell rundergezogen, das ich meinen normalen Alltag nicht bewältigen kann.
Zweitens: Wer keine Angaben zum eigenen Selbsttest macht dann ist die App nicht wirksam. Das Handy kann nur Infizierung auf der Grundlage der eigenen Angaben vornehmen. Also sinnlos. Hab sie wieder gelöscht zugunsten meiner persönlichen Aktivitäten
Ingo Scharp 19.06.2020, 09:48 Uhr:
Ich glaube viele weitere würden diese App nutzen. Ich bin da inbegriffen. Ich habe ein Samsung Galaxy J1 aus dem Jahre 2016 mit Android 4.4. und werde schon mal ausgegrenst. Viele ältere Menschen, die ein Smartphone haben, bleiben einem Gerät über mehrere Jahre treu, wie auch ich. Das Gerät macht alles was ich benötige (Instagramm, Telegramm usw.). Warum darf heut zu Tage eine Handy nicht älter als 2 Jahre sein? Solange gilt die Update-Garantie diverser Hersteller. Kaum zu glauben das unsere Bundesregierung dies mit solchen Apps noch den Kauf von neuen Geräten voraussetzt. Als Angehöriger einer Risikogruppe hätte ich einfach mehr verlangt.
A.H. 08.06.2020, 18:47 Uhr:
Ich arbeite in der Altenpflege. Was ist den jetzt, wenn mich die App warnt? Meine Arbeitskraft wird dort zwingend gebraucht – soll (darf) ich zu Hause bleiben, wenn mich die App warnt?
Wer bezahlt mich, wenn ich nicht arbeiten gehe? Bekomme ich einen Test?
Wenn ja, kann ich bis ich das Ergebnis erhalten habe, mindestens einen Tag nicht arbeiten (andernfalls wären es zwei Wochen).
Gehe ich arbeiten und die App hat mich gewarnt, mache ich mich (meiner Ansicht nach) einer fahrlässigen Körperverletzung, oder sogar einer fahrlässigen Tötung schuldig, wenn bei meiner Arbeit jemanden von denen anstecke, die ich dort betreue. Wie sieht denn die ganze Sache rechtlich aus???
Steht jeder, der die App nutzt und in der Alten-)pflege arbeitet vielleicht nachher mit einem Bein im Knast, nur weil er eigentlich vor hatte, mit der App die Leben von anderen Menschen zu schützen?
Geht gar nicht!
Simon Barth 03.06.2020, 09:12 Uhr:
Hallo zusammen,
die Universität Greifswald forscht derzeit daran, wie die Bereitschaft in der Bevölkerung bezüglich der Nutzung von Corona-Apps aussieht. Auch die Bedenken bezüglich des Datenschutzes sind hierbei von Interesse. Hierfür wurde ein anonymer Fragebogen entwickelt, dessen Bearbeitung ca. 20-30 Minuten dauert. Unter allen Teilnehmenden werden 50 Gutscheine im Wert von 15€ verlost.
Der Link zur Umfrage: https://www.soscisurvey.de/cova/
Mit Ihrer Teilnahme an der Umfrage können Sie daher mit dazu beitragen, dass die Corona-Apps besser und verantwortungsvoller entwickelt werden.
Vielen Dank für Ihre Teilnahme.
Ulrike Leim 15.05.2020, 14:57 Uhr:
Ich besitze kein Smartphone und das ist auch gut so! Sollte ich etwa wegen der App verpflichtet werden, mir eines zuzulegen, um noch am öffentlichen Leben teilnehmen zu können? In so einer Gesellschaft möchte ich nicht leben!
Ewald Strodl 04.05.2020, 12:34 Uhr:
Als Elektrohypersensibler (siehe "Extrem empfänglich" 16/2003 und Leserbrief "Ein Albtraum" 02/2019) bin ich entsetzt, über eine Corona-App Pflicht!
Es reicht anscheinend nicht, dass durch den Mobilfunk die Gesundheit geschädigt wird. Man ohnmächtig mit ansehen muß, wie diese Hochfrequenztechnik weiterhin rücksichtslos und ubiquitär ausgebaut wird (zusätzlich jetzt noch 5G). Jetzt soll man noch dazu gezwungen werden, über eine Corona-App mit dem Kauf eines Smartphones diese Technik zu benützen! Ja geht's eigentlich noch!
Was würde ein Pollenallergiker dazu sagen, wenn man Ihn zum inhalieren seines Allergens zwingt?!
Christof Bretscher 02.05.2020, 22:14 Uhr:
Ich lese, dass auch ein Rechtsgelehrter eine Verordnung im Sinne der eigenen Meinung zu einem Sachverhalt interpretiert. Das ist o.k., subjektiviert die Argumente aber erheblich, da er hier als potentiell Betroffener schreibt, in Sorge, vielleicht Angst. Abgesehen davon, dass eine Verordnung vermutlich keine Gesetzeskraft erlangt, verstärken die Pro-Argumente den Eindruck der Eigenbetroffenheit.Tracing kann Infektionsketten nicht nachverfolgen, sie warnt lediglich die Empfänger vor zu nahem und langen Kontakt mit bereits erkannten anonymen Erregerträgern. Die sind aber entweder in der Klinik oder in Quarantäne, aus der sie sich vielleicht entfernen könnten. Infektionsepidemiologen können damit nicht viel anfangen, sie denken diktatorisch und brauchen deshalb Tracking. Das wiederum ist reine Überwachung, die dann alle Beteiligten betreffen müsste. Die Erkennung der stumm Infizierten ist so aber auch nicht möglich. Ich habe übrigens kein Smartphone (bin Arzt).
Barbara Falk 02.05.2020, 16:56 Uhr:
Das darf doch wohl nicht wahrsein!
Sollte der Staat Menschen dazu verpflichten wolllen, sich ein smartphone zuzulegen und ohne eingeschaltetes und bluetooth aktivertes Handy ständig mit sich herum zu tragen?
Will der Staat sich dazu erdreisten, gesetzlich festzulegen, dass ich ohne Mitnahme eines Handys das Haus nicht verlassen darf? So ein asgemachter Blödsinn.
Wann kommt der unter de Haut transplantierte MIkrochip, der jede Bewegung jedes Menschen zentral registriert?
Hanna Leinemann 30.04.2020, 15:32 Uhr:
In der Vergangenheit wurden Firmen, die durch ihre Produkte oder/und ihre Produktion die Umwelt vergiften, immer nur auf Freiwilligkeit zu einer Änderung bewogen oder auch nicht; Gesundheit war also nicht an erster Stelle. - Jetzt, wo ein Krankheitsvirus zu Schreck und Panik führt, soll mit einem Mal eine Pflicht zur APP bestehen,um Kontrolle über Verbindungen zu haben? Sind wir in China? - Bin ich froh, daß ich wie Arme und Obdachlose weder ein Smartphone noch ein Handy habe (aber ein echtes Telefon) und mich entziehen kann. Aber es geht auch gar nicht um Arme, sondern um die Gesundheit der Reichen, die jetzt Angst am eigenen Leibe spüren, nachdem sie die Gesundheit der Welt ausgebeutet haben. -
Stefan Kunzmann 30.04.2020, 12:27 Uhr:
Der Ansatz einer verpflichtenden Tracing-App zur Nachverfolgung von Infektionsketten bedeutet einen gravierenden Einschnitt in die Grundrechte und ließe sich nur utilitaristisch begründen. Unser Rechtsstaat allerdings basiert auf Prinzipien und Grundrechten, die von der Würde des Menschen abgeleitet sind und nicht jedes Handeln rechtfertigen, das nützlich wäre. Der von Gregor Thüsing angeführte Artikel 9 der Datenschutzgrundverordnung ermöglicht zwar eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten und damit eine Einschränkung des Datenschutz-Grundrechts der informationellen Selbstbestimmung, verpflichtet Personen aber nicht, zu deren Gewinnung beizutragen. Ich muss ja auch nicht zum Arzt gehen, wenn ich mich krank fühle. In der Corona-Krise wird leider deutlich, wie schnell wir bereit sind, hart erkämpfte Grundrechte, die den inneren Wert des Lebens schützen, auf dem Altar äußerlicher Nützlichkeitserwägungen zu opfern.
Georg Lechner 29.04.2020, 17:19 Uhr:
Die in Ö. vorgesehene App wurde von der ARGE Daten als nicht praxistauglich bezeichnet.
Wenn eine App das von vornherein nicht leisten kann, was sie zu leisten beansprucht, ist sie für den Kanal.
Ein ungleich wirksameres Mittel gegen Corona wäre die Nachrüstung von Umluftanlagen mit Tröpfchenfallen (Modifikationen von Waschflaschen), weil durch Luftbewegung etwaige infektiöse Tröpfchen länger in Schwebe gehalten und damit eingeatmet werden können, andererseits die berufstätigen Altersgruppen (die am ehesten in solchen Räumen arbeiten oder zur Arbeit unterwegs waren) bisher überdurchschnittlich infiziert wurden.
Mittels Durchleiten der Umluft durch eine wässrige Lösung gehen die Tröpfchen in der umgebenden Flüssigkeit auf, die Viren können nicht verdunsten und bleiben in der Waschlösung gefangen.