Missbrauch
Glaube, Macht, Gewalt
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Publik-Forum: Frau Claus, Herr Großbölting, was hat Sie an der ForuM-Studie überrascht?
Kerstin Claus: Dass es neben der Aufarbeitung auch bei der Prävention in den Pfarrgemeinden hakt und Schutzkonzepte oft fehlen. In den letzten Jahren haben wir häufig von den evangelischen Kirchen gehört: Aufarbeitung müssen wir noch lernen, aber in der Prävention sind wir richtig gut. Da gibt es wohl einen Bruch zwischen Selbstwahrnehmung und Realität.
Thomas Großbölting: Für mich war der überraschendste Punkt, wie ähnlich sexualisierte Gewalt in der katholischen und der evangelischen Kirche funktioniert. Ich habe die Studie zum Bistum Münster geleitet und auf den spezifisch katholischen Risikofaktor Klerikalismus
Angelika Oetken 14.07.2024, 08:03 Uhr:
>Als staatliche Beauftragte haben Sie kein Kontroll- oder Sanktionsinstrument in der Hand, Frau Claus?<
Kerstin Claus weicht dieser Frage im Interview aus. Aber welche der fast 40 Beauftragten des Bundes gesetzliche Durchgriffsrechte haben und welche nicht, erschließt sich durch Recherchen. Das "Unabhängig" in "Unabhängige Beauftragte des Bundes für Fragen des Sexuellen Missbrauchs" bezieht sich auf eine formal nicht existierende Weisungsbefugnis der Bundesregierung an den/die UBSKM. Was finanzielle Mittel, Räumlichkeiten, Personal und Ausstattung angeht, sind solche Beauftragte zutiefst von dem Ministerium abhängig, dem sie angegliedert sind. Bei Kerstin Claus und ihrem Team ist es das Bundesfamilienministerium (UBSKM).
Sollte das "UBSKM-Gesetz" verabschiedet werden, könnte sich das ein Stück weit ändern. Aber in dem Fall wird der Bund die entsprechenden Beauftragten viel sorgfältiger auswählen als bisher.
Das Interesse einer Bundesregierung ist, die Kontrolle zu behalten.
Angelika Oetken 14.07.2024, 07:49 Uhr:
>Großbölting: Es ist erstaunlich, wie wenig Institutionen voneinander lernen.<
Die Führungskräfte der verschiedenen kirchlichen Institutionen stimmen sich über alle religiös-politischen Unterschiede hinweg ab. Vor allem wenn es darum geht, strafrechtliche Interventionen durch Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte abzuwehren und in Fragen zivilrechtlichen Schadenersatzes für die Opfer ihrer Organisationen.
Die s.g. Amtshaftung gilt seit 1900 und wurde im Zivilrecht bis heute beibehalten. Angesichts der engen Verflechtung von Kirche und Staat in unserem Land erstaunt es nicht, wenn dieser seit Langem bekannte Umstand erst seit relativ kurzer Zeit öffentlich diskutiert wird.
Die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hatte Anfang 2010, kurz nach der als "Missbrauchstsunami" bekannt gewordenen Medienoffensive über Missbrauchsfälle in der röm. kath. Kirche, beim wissenschaftlichen Dienst des Bundestages eine Expertise in Auftrag gegeben.
Angelika Oetken 14.07.2024, 07:28 Uhr:
Herr Fleischmann, Herr Schrom: danke für Ihre guten Fragen.
Anmerkung:
>warum es im evangelischen Milieu nicht weniger Missbrauch gibt als im katholischen<
Warum sollten kirchliche (religiöse) Sozialgefüge in Sachen Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen von nicht-kirchlichen abweichen? Weltweit beträgt die Rate an Missbrauchsopfern in der Bevölkerung im Längsschntt 10 - 15 %, bei uns in Deutschland 13 %.
2/3 - 3/4 dieser Taten werden von Familienangehörigen oder TäterInnen aus dem familiären Umfeld der Opfer verübt, fast der gesamte Rest im Verantwortungsbereich von Institutionen (Kitas, Schulen, Freizeitangebote, Sport, Gemeinden etc). Fremdtäter sind die Ausnahme, 30 % der Missbrauchskriminellen weiblich.
Quelle: Expertise Häufigkeitsangaben der UBSKM
Sexueller Missbrauch ist nichts Neues und in den Traditionen unserer Kultur und vielen anderen der Welt derart tief verankert, dass man von einer Variante der sex. Initiation Minderjähriger sprechen muss.
Anne Grillenberger 08.03.2024:
Den Begriff der »Pastoralmacht«, den Thomas Großbölting im Zusammenhang mit der aktuellen Missbrauchsstudie in der Evangelischen Kirche formuliert hat, finde ich sehr erhellend. Er bringt die Ursache der Missbrauchsvorgänge in beiden Kirchen auf den Punkt. Der Umgang mit dieser speziellen Macht braucht Reflexion und vor allem religionspsychologisches Wissen. Dass sich die Kirchen dieser Aufgabe stellen und konsequent in Priesterausbildung und -fortbildung selbstreflexives Verhalten und psychologische Orientierung verankern, erscheint mir nicht nur wünschenswert, sondern dringend geboten. Die christliche Religion entwickelte sich in der Spätantike und nahm in weiteren geschichtlichen Epochen immer neue geistige Strömungen in ihre Lehre auf. Warum gelingt es nicht, den heutigen geistesgeschichtlichen Kontext in kirchliches Denken und Handeln zu integrieren?
Marlise Weinitschke 08.03.2024:
Ich denke, dass die Ursache für Macht und Machtmissbrauch in den Kirchen im Menschenbild und im Gottesbild des Handelnden wurzelt. In Europa sind wir als Christen aller Denominationen mit der (Kreuzes-) Theologie des Paulus aufgewachsen. Er sieht uns als sündige, unwürdige und nichtsnutzige Menschen, geschaffen von einem Gott, der als Lösegeld für unsere Missetaten das stellvertretende Folteropfer eines Menschen fordert. Dass es dabei um »seinen Sohn« geht oder gar um ihn selbst als »menschgewordenem Gott«, macht es nicht gewaltfreier. Die Gnade Gottes wird den Schuldbeladenen von Priestern, Pfarrern und Pastoren zugesprochen. Das schafft auf der einen Seite Demütigung und Abhängigkeit, auf der anderen Seite Macht und Ansehen. Diese Konstellation öffnet dem Machtmissbrauch Tor und Tür. Wann endlich wird Jesu Leben und seine Lehre die Basis unseres Glaubens? Wann übernehmen wir sein Menschenbild? Wann endlich glauben wir wie er an einen liebenden Gott, der die Menschen zu seinem Ebenbild geschaffen hat? Wann vertrauen wir mit Jesus darauf, dass ein Mensch, der gefehlt hat, Rechenschaft geben und Verantwortung übernehmen muss, aber Vergebung erfährt, ohne seine Würde zu verlieren?