Tagebuch aus Kiew
»Die Kämpfer in dem Stahlwerk werden für immer ukrainische Helden sein«
Wir versuchen wieder ein normales Leben zu führen. Ab und zu gibt es noch Alarm. Der Krieg geht ja weiter. Aber hier in Kyiv und anderen Teilen des Landes ist jetzt ziemlich ruhig. Unsere Armee und unser Kampf haben Erfolg. Ich glaube, dass wir den Krieg bis zum Herbst mit einem Sieg beenden werden. Ich hoffe natürlich früher. Dann wäre ich sehr glücklich.
Unser Sieg wird das Ende für die russische Führung sein. Sieg heißt für mich, dass kein russischer Soldat mehr auf ukrainischem Territorium ist. Ich hoffe, dass auch Luhansk und Donezk dann befreit sind. Über die Krim rede ich nicht. Die Leute dort sind leicht zu beeinflussen. Sie änderen ihre Ansicht je nach der Situation. Die Befreiung der beiden Volksrepubliken wird noch viele Opfer kosten. Aber auch die Menschen dort wollen nicht weiter unter russischer Okkupation leben und für Russland kämpfen. Vielleicht wollen sie nicht die volle ukrainische Kontrolle. Aber unsere mächtige Armee wird dafür sorgen, dass die Ukraine wieder ein vollständig souveränes Land ist.
Die Rede von Putin am 9. Mai habe ich mir nicht angehört. Ich habe von ihr nichts erwartet. Er ist für mich ein toter Teil der menschlichen Entwicklung. Freunde von mir haben seine Rede verfolgt und mir gesagt, dass sie nichts Besonderes enthielt. Offenbar hat er gesundheitliche Probleme, aber das war auch alles.
Die Situation unserer Kämpfer in der Stahlfabrik in Mariuopol ist ein besonders schrecklicher Teil dieses Kriegs. In den Nachrichten habe ich gehört, dass die Russen dort verbotene Waffen einsetzen. Sie verweigern medizinische Hilfe, nicht nur für die eingeschlossenen Soldaten, sondern auch für die verbliebenen Zivilisten in der Stadt. Selbst für Alte.
Die Kämpfer des Asov-Regiments in dem Stahlwerk werden für immer ukrainische Helden sein. Noch unser Kinder und Enkel werden sie dafür feiern, wie sie heldenhaft ausgehalten haben und den Russen nicht erlaubten, weiter auf unserem Land vorzurücken.
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Auch alle, die diesen Krieg überleben, werden Helden sein, mehr noch als die, die 2014 auf dem Maidan starben. Zugleich wird es für uns alle schwer sein, weiter zu leben. Ich erinnere mich an die Bücher von Erich Maria Remarque, in denen er die Schrecken des Krieges und seine Folgen für die Überlebenden beschrieben hat. Meine Tochter hat eine Freundin in der Schule, mit der sie Aikido macht. Ich habe deren Eltern dort oft getroffen. Der Vater wurde als Kämpfer im Asov-Stahlwerk getötet. Wie sollen seine Töchter damit klarkommen? Auch ich werde diese Zeit nie vergessen.
Das Finale des Eurovision Song Contest habe ich natürlich im Fernsehen angesehen. Ich mag unsere Band, aber ich hätte nie gedacht, dass das Publikum sie zu den Siegern kürt. Für uns Ukrainer war es ein weiterer Sieg auf einem anderen Feld. Und ich denke, dass es alle Ukrainer darin bestärkt hat, an unser normales Leben vor dem Krieg zu denken. Für einen Moment haben wir nicht an die Gefahren gedacht und daran, dass wir alle Opfer dieses Krieges sind. Meine Tochter hat bedauert, dass der deutsche Sänger keinen Punkt von den Jurys bekommen hat. Dabei war er nicht der Schlechteste. Doch für uns Ukrainer ist das Wichtigste, das Menschen überall in Europa uns ihre Unterstützung ausgedrückt haben. Nächstes Jahr tragen wir dann das Finale aus. Vielleicht in Mariuopol.
Aufgezeichnet von
Ludwig Greven.
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